Man kennt sich, im Marmaray-Tunnel. Seit 2012 ist TÜV SÜD als Gutachter involviert und seit dieser Zeit betreut Valentina Monaco das Projekt. Die promovierte Eisenbahningenieurin ist während dieser Zeit regelmäßig von ihrem Büro im österreichischen Graz in die türkische Millionenmetropole geflogen, hat Pläne geprüft, mit Technikern gesprochen, bereits installierte Anlagen kritisch begutachtet. Hat sich als oft einzige Frau unter Dutzenden Männern erfolgreich behauptet und ihr Veto eingelegt, wenn Ingenieurbüros wieder zu kühn geplant haben. Hat während dieser Zeit Türkisch sprechen gelernt, das sie nun neben fünf weiteren Sprachen beherrscht. Und hat sich durch ihre fachliche Kompetenz und Erfahrung – unter anderem aus großen Eisenbahnprojekten in Italien und Mexiko – viel Respekt erarbeitet.
TECHNISCHES MEISTERWERK
Während Monaco am Rand des Gleisbetts weiterläuft, passiert sie eine Stelle, an der das Grau der Tunnelwand einen anderen Ton hat. „Hier wurden die einzelnen Elemente miteinander verbunden“, erläutert sie. Das hängt mit der speziellen Bauweise des Bosporustunnels zusammen. Denn nur die Anbindungstunnel auf dem europäischen und asiatischen Festland entstanden im klassischen bergmännischen Vortrieb mit riesigen Bohrmaschinen. Das Herzstück, die Passage unter dem Meer hindurch, wurde dagegen im Absenkverfahren gebaut. Elf Tunnelelemente mit bis zu 135 Metern Länge wurden dazu an Land vorgefertigt und mit Transportschiffen hinausgeschleppt. Während links und rechts Frachtschiffe vorbeizogen – rund 50.000 davon passieren jedes Jahr die Wasserstraße – fluteten die Bauarbeiter die Elemente langsam und platzierten sie zentimetergenau in einen Graben am Grund des Bosporus. Nach dem Verbinden der Einzelstücke wurde der Gesamttunnel leer gepumpt und von außen mit Erde bedeckt.
1999 hatte ein Erdbeben die Region östlich von Istanbul erschüttert. Bei einer Stärke von 7,4 auf der Richterskala stürzten Häuser und Brücken ein, fast 20.000 Menschen starben. Das nächste große Beben, vermuten Experten, könnte die türkische Metropole direkt treffen. Denn wenige Kilometer vor den Toren der Stadt verläuft die Nordanatolische Verwerfung. Hier schiebt sich die Anatolische unter die Eurasische Platte – und lässt regelmäßig die Erde zittern. Der Marmaray-Tunnel kann daher Beben bis zu einer Stärke von 7,5 überstehen.
Und wenn doch einmal Wasser in den Tunnel eindringen sollte? „Dann kann er innerhalb von Minuten geräumt und hermetisch abgeschlossen werden“, sagt Valentina Monaco. Sie steht vor einem von vier Fluttoren, ein Smartphone griffbereit in der Hand. Auf ihr Kommando hin ertönt ein Warnsignal, dann schiebt sich eine gelbe Stahlwand langsam von oben durch den Tunnelquerschnitt. Eine Signalanlage klappt weg, dem Fluttor aus dem Weg. Monaco stoppt die Zeit, bis die Wand mit einem Knirschen auf dem Gleisbett einrastet. „Das System verhindert effektiv, dass eindringendes Wasser bis in die U-Bahn-Stationen vordringen kann“, so ihr Fazit.
Frühmorgens, kurz vor 6 Uhr und viele Kilometer später, tritt Valentina Monaco aus der Eingangstür der Metrostation Üsküdar ins Freie. In wenigen Minuten wird die Istanbuler U-Bahn ihren Betrieb wieder aufnehmen. Am Himmel dämmert es bereits, in einer guten halben Stunde wird die Sonne aufgehen. Monacos Blick folgt kurz einem Frachtschiff, bleibt an der beleuchteten Hängebrücke, die den Bosporus seit 1973 überspannt, hängen. Tief atmet sie die frische Morgenluft ein – und schaut noch lange auf die glatte Wasseroberfläche, unter der sie heute Nacht hin- und hergewandert ist.