Herr Professor Sabrow, die Vergangenheit ist abgeschlossen; Gegenwart und Zukunft können wir gestalten. Ist das Erinnern, an das, was war, vergeudete Zeit?
Wenn Sie die Vergangenheit als abgeschlossen definieren, vielleicht schon. Aber, ich bin mir überhaupt nicht sicher, dass die Vergangenheit abgeschlossen ist. Ich glaube, die Vergangenheit ist ebenso veränderlich wie die Zukunft. Wir erleben doch fast jeden Tag, wie Vergangenheit neu interpretiert wird.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit bietet also immer wieder neue Einsichten.
Ja, außerdem ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit keine vergeudete Zeit, weil sie uns eine gewisse Sicherheit in einer sich beschleunigenden oder unsicheren Welt gibt. Denn die Vergangenheit ist eine Ressource einer Erkenntnis, woher wir kommen. Und zu guter Letzt ist die Vergangenheit ja auch ein Quell zum besseren Verständnis der Wege in die Zukunft.
Wie können wir aus der Vergangenheit Erwartungen an die Gegenwart oder die Zukunft ableiten?
Das geschieht auf unterschiedliche Weise. Zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, dass in der Vergangenheit die Ansprüche an das Leben nicht befriedigt wurden, und man sein Leben plant, indem man sich auf die falsch gestellten Weichen besinnt. Eine zweite Möglichkeit ist das Berufen auf eine stolze Tradition und eine mimetische, also nachahmende, Haltung. Dann gibt es noch einen dritten Umgang mit der Vergangenheit, den kathartischen, der auf die Distanz zu ihr setzt.
Lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen: Wann sind Jubiläen entstanden?
Ihren Ursprung haben Jubiläen im antiken Judäa, also im biblischen Zeitalter. Damals wurde mit einem Blasinstrument aus „Jobelhorn“, das ist das hebräische Wort für Widder, das Erlassjahr eröffnet. Alle 50 Jahre fand solch ein Jobeljahr statt, in dem Ablass für Kredite, Zinsen, Verschuldung, Insolvenzen und so weiter gewährt wurde. Aus diesem Jobeljahr hat sich das päpstliche Jobel- oder Jubeljahr entwickelt, das von Sünden befreit. Nach der Reformation wollte man diesem päpstlichen Jubeljahr etwas Eigenes, Protestantisches entgegensetzen. Man feierte seit dem 18. Jahrhundert die Wiederkehr der Reformation im Jahr 1517 alle fünfzig Jahre.
TÜV SÜD feierte im Jahr 2016 das 150-jährige Bestehen. Warum blicken Traditionsunternehmen gern zurück?
Nachdem Goethe- und Schillerfeiern in Mode gekommen waren und die Universitäten ihre Jubiläen feierten, begann auch die Privatwirtschaft im 19. Jahrhundert, Jubiläen für sich zu entdecken. Anlass war aber nicht mehr der Ablass oder die Entlastung der Käufer von ihren Altschulden. Von Bedeutung war vielmehr die Vergewisserung des eigenen Alters und der Kontinuität. Dieser Rückblick auf eine gradlinige Tradition wurde mit dem Versprechen verbunden, dass dieser Weg in der Zukunft weiter gegangen wird.