
Im September 2016 machte die irische Milchwirtschaftskooperative Ornua das, was sie am besten kann: Sie handelte mit Milch. Im konkreten Fall sollten Käse und Butter im Wert von 100.000 US-Dollar an die Seychelles Trading Company geliefert werden. Kaum der Rede wert, wäre da nicht die Art und Weise, wie die Vereinbarung umgesetzt wurde: Mit Unterstützung der Großbank Barclays und dem Start-up-Unternehmen Wave wurde der Deal über die Blockchain-Technologie abgewickelt – als angeblich erster Kontrakt weltweit. Über eine spezielle Plattform wurden alle Handels- und Frachtdokumente fälschungssicher und innerhalb von Sekunden zur Verfügung gestellt – inklusive der Bezahlung.
Das vergleichsweise kleine Geschäft der irischen Milchindustrie steht exemplarisch für all die Möglichkeiten, Hoffnungen, und Erwartungen, die an der Schlüsseltechnologie hängen. Blockchain, das verheißt im Gegensatz zu lange etablierten, internetbasierten Transaktionsplattformen: schneller, sicherer, dezentraler, anonymer, transparenter. Und vor allem die Aussicht, ohne zwischengeschaltete Vermittler oder Instanzen miteinander zu handeln. Für die einen kommt das einer Revolution gleich, bei der die „Datenmonarchie“ zentraler Server gestürzt und die „Datendemokratie“ ausgerufen wird. Andere, wie der Analyst und Finanzwissenschaftler Anton Golub, sehen darin nicht weniger als „die größte Entdeckung unseres Lebens“.
Ein Excel-Sheet, das wächst
Dabei reicht, um zu verstehen, was die Blockchain ist und kann, zunächst ein einfaches Excel-Sheet. Darin sind beliebige Daten gespeichert wie Geldtransaktionen, Identitäten oder Eigentumsnachweise. Was die Blockchain von Excel unterscheidet: Ihr Sheet lässt sich nicht nachträglich ändern, ist verschlüsselt und wird nicht von einer Einzelperson, sondern von vielen gepflegt. Von einem Netzwerk, das sich regelmäßig auf den korrekten Stand des Sheets einigt und klaren definierten Vorgaben folgt. Regeln, die allen bekannt sind und auch nur dann geändert werden können, wenn die Mehrheit das wünscht. Wer gegen die Regeln verstößt, fliegt raus.
Nun wächst das Sheet, das auch als „Distributed Ledger Technology“ (DLT) oder „verteiltes Kassenbuch“ bezeichnet wird. Transaktionen werden als neue Position in das Kassenbuch eingetragen. Da dies aber statt in einer Schublade als tausendfache Kopie und weltweit auf Rechnern verteilt liegt, erscheint auch der neue Posten in allen anderen Kassenbüchern und wird von den am Netzwerk beteiligten Computern authentifiziert. Erst dann sind der Eintrag und die Transaktion gültig. Unendlich lange geht das nicht, ab einer gewissen Größe wird das Buch zugeschlagen. Ein fertiger Block ist entstanden, ein neuer wird geöffnet – die Kette an Blocks, die Blockchain, wächst.
Allein in dieser Kurzbeschreibung klingt das Wesen der Blockchain unmittelbar durch: Es gibt nicht die eine, die übergeordnete Instanz, die alles ordnet. Es sind die Dezentralität, die Masse der Netzwerkrechner und die Transparenz gepaart mit kryptografischen Verschlüsselungsmechanismen, die ordnen und steuern: „Das Protokoll koordiniert Menschen, die sich nicht kennen und nicht vertrauen, über nationalstaatliche Grenzen hinweg und das ohne klassische, zentralisierte Institutionen oder juristische Vereinbarungen“, sagt Shermin Voshmgir, Direktorin des interdisziplinären Forschungsinstituts für Kryptoökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Die Spielregeln sind im Code geregelt, haben ökonomische Anreize und werden von Smart Contracts durch ein verteiltes Rechnernetzwerk automatisch ausgeführt.“ Das ermögliche eine neue Art von Ökonomie, der jeder ohne Erlaubnis einer zentralen Instanz, wie zum Beispiel einer Bank, beitreten kann. „Jeder kann ein Konto eröffnen und – zumindest theoretisch – Kryptowährungen wie Bitcoin schürfen“.