Herr Matouschek, Sie beschäftigen sich als Ökonom jeden Tag mit optimalen Entscheidungen. Wie entscheiden Sie selbst, ob Sie jemandem vertrauen?
Im besten Fall kenne ich die Person bereits, dann weiß ich, wie sie tickt, und kann abschätzen, ob sie ihr Versprechen auch hält. Einer meiner Kollegen bricht zum Beispiel nie sein Wort, weil ihm das buchstäblich Gewissensbisse bereiten würde. So jemandem zu vertrauen, ist leicht.
Viel öfter haben wir mit Menschen zu tun, die wir noch nie gesehen haben.
Da wird das Ganze schon schwieriger. Vor allem dann, wenn eine fremde Person auch noch ihr eigenes geschäftliches Interesse verfolgt oder für ein Unternehmen arbeitet, das per Definition seinen Gewinn maximiert.
So jemandem vertrauen Sie auch?
In den meisten Fällen schon. Anders würde unser Alltag gar nicht funktionieren. Aber ich stelle mir vorher immer zwei Fragen. Erstens: Hat mein Gegenüber ein langfristiges Interesse, sein Versprechen zu halten, obwohl es kurzfristig vielleicht besser für ihn wäre, es zu brechen? Und zweitens: Bekämen es andere Leute mit, wenn mich die Person über den Tisch ziehen würde? Je höher das langfristige Interesse meines Gegenübers und je mehr Transparenz, desto eher vertraue ich der Person.
Wie oft liegen Sie mit der Methode richtig?
Meistens funktioniert das ziemlich gut. Aber manchmal natürlich auch nicht. Als ich vor ein paar Jahren mit meiner Familie in ein neues Haus gezogen bin, haben meine Frau und ich einen Innenausstatter beauftragt und vorab bezahlt. Das war zugegebenermaßen etwas blauäugig. Der Ausstatter hat eine Weile gute Arbeit gemacht. Dann war er plötzlich weg. Wie vom Erdboden verschluckt.
Hatten Sie sich vorab nicht über den Ausstatter informiert?
Wir hatten ihn von Freunden empfohlen bekommen. Und wir waren überzeugt, er ist daran interessiert, dass wir ihn ebenfalls weiterempfehlen. Aber da haben wir uns wohl getäuscht. Es gab auch keine öffentlichen Bewertungen. Insofern fehlte es schon ein wenig an Transparenz.
„Ohne Vertrauen würde die Marktwirtschaft austrocknen.“
Sie erforschen Vertrauen auch als Ökonom. Helfen Ihnen solche Erkenntnisse da weiter?
Es gibt immer wieder Schnittmengen, ja. In dem konkreten Fall des Innenausstatters war zum Beispiel spannend, dass er theoretisch ein starkes Interesse an einer Weiterempfehlung von uns hätte haben müssen. In seiner Branche läuft schließlich viel über persönliche Referenzen. Aber manchmal funktionieren Dinge im echten Leben eben anders als in der Theorie. Außerdem schaue ich mir als Ökonom und Spieltheoretiker Vertrauen ja auch durch eine recht spezielle Brille an.
Und was sehen Sie da?
Vor allem Anreizsysteme. Mich interessiert, ob und aufgrund welcher Anreize jemand sein Versprechen hält, obwohl er kurzfristig nicht davon profitiert. Anreize sind alles.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir an, ich entscheide mich auf einer Geschäftsreise für ein Hotel, weil es mit einem absoluten Schlemmerfrühstück wirbt. Interessant ist nun, ob und warum mir der Hotelier das Frühstück auch tatsächlich in der angepriesenen Qualität serviert, nachdem ich eingecheckt habe. Sobald ich bezahlt habe, steigt für ihn ja die Versuchung, mir ein eher mittelmäßiges Frühstück aufzutischen, um Kosten zu sparen. In meiner Definition wäre der Hotelier also vertrauenswürdig, wenn er den Willen hat, mir trotz dieser Versuchung das versprochene Frühstück zuzubereiten.
Warum sollte er das tun?
Weil es neben der kurzfristigen Versuchung zur Profitmaximierung auch langfristige Anreize gibt. Sofern der Hotelier nicht vorhat, sein Hotel demnächst zu schließen, ist er auch in Zukunft auf zahlende Gäste angewiesen. Also zum Beispiel auf mich, wenn ich noch mal in der Stadt bin. Oder auf andere Gäste, die sich aufgrund meiner Empfehlung für ihn entscheiden.
Er könnte auch darauf spekulieren, dass Sie sowieso nie wieder in die Stadt kommen und andere Gäste nichts von Ihrem Verdruss mitbekommen.
Genau diese Abwägung muss er treffen. Wie er sich entscheidet, hängt dabei stark von den Rahmenbedingungen ab. Spieltheoretisch würden wir argumentieren, dass es darauf ankommt, wie oft das Spiel, also in dem Fall meine Entscheidung für ein Hotel, wiederholt wird und wie hoch die Transparenz dieser Entscheidung ist. Onlinebewertungsportale steigern etwa die Chance, dass andere Gäste von meinem Erlebnis erfahren. Die Transparenz nimmt zu. Und damit auch der Anreiz für den Hotelier, sein Versprechen zu halten.